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Greenwashing bei Fonds: PM zum neuen Update!

Bild: © Eigenes Bild [Eigenes Bild]

  • ETFs von DWS und BlackRock mit höchster Belastung durch Kontroversen
  • Nur 10 Prozent der untersuchten „ESG-Fonds“ frei von Kontroversen
  • Auch FNG-Siegelfonds betroffen: „Metzler Global Growth Sustainability“ sticht negativ hervor
  • Mehr als 40 Prozent der analysierten „ESG-Fonds“ und knapp 70 Prozent der ETFs in Rüstungsfirmen investiert
  • Neue EU-Offenlegungsverordnung nicht geeignet für Verbraucher*innen zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Fonds

Berlin | 19. Mai 2022

Die Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen Facing Finance und urgewald haben ein weiteres Update des frei zugänglichen Verbraucherportals Faire Fonds (www.faire-fonds.info) und einen hierauf basierenden Nachhaltigkeitscheck von Investmentfonds veröffentlicht.

Das Portal bewertet nun insgesamt 2.163 in Deutschland zugelassene Publikumsfonds, unter anderem Eigen- und Fremdfonds der vier größten deutschen Fondsgesellschaften Allianz Global Investors, Deka, DWS und Union Investment. Von den 2.163 untersuchten Fonds werden knapp die Hälfte (1.081) von der Datenbank „Lipper for Investment Management“ (Refinitiv) und/oder dem Forum Nachhaltige Geldanlage über sein Siegel als „Nachhaltigkeitsfonds“ gelabelt (im Folgenden: „ESG-Fonds“) [1]. Unter den 2.163 analysierten Fonds sind 702 ETF-Produkte (davon wiederum 203 als „ESG“ von Lipper gelabelt) sowie 33 „Stiftungsfonds“.

Im Vergleich zum letzten Update von Faire Fonds im Dezember 2021 erfolgte die Analyse der Fondsportfolios nun auf Basis einer erweiterten Liste von 1.133 kontroversen Unternehmen [2]. In Ergänzung zu den schon vorher genutzten Quellen zur Identifizierung von kontroversen Unternehmen [3] ist nun die urgewald-Datenbank Global Oil & Gas Exit List (GOGEL) in diesem Update neu hinzugekommen. Sie ist weltweit die erste öffentliche, umfangreiche Datenbank zu Unternehmen aus der Öl- und Gasindustrie [4]. 414 der GOGEL-Unternehmen aus dem Upstream- und Midstream-Bereich, deren Aktien und Anleihen handelbar sind, werden nun durch Faire Fonds in den Portfolios der untersuchten Fonds markiert.

Der aktuelle Faire Fonds-Nachhaltigkeitscheck zeigt insgesamt:

  • 91% der untersuchten Fonds (1.967 von insgesamt 2.163) waren zum Stichtag der Untersuchung (16.04.2022) in Unternehmen investiert, die ökologische, ethische und soziale Standards sowie Normen und damit Nachhaltigkeitskriterien verletzen.
  • Auch 240 der 414 Öl- und Gasunternehmen aus der neu von Faire Fonds genutzten Global Oil & Gas Exit List fanden sich zum Stichtag in den gescreenten Investmentfonds. Die großen europäischen Öl- und Gasunternehmen waren besonders oft in den Fonds enthalten: TotalEnergies fand sich in 448 verschiedenen Fonds, gefolgt von Enel (404), BASF/Wintershall (357), OMV (271) und Eni (252).
  • Unter den Top 10 der am umfänglichsten mit gescreenten Kontroversen belasteten Fonds finden sich acht ETFs und zwei aktiv gemanagte Investmentfonds, alle mit Energiefokus. Mit 95,6% Belastung nach der Faire Fonds-Methodik belegt der Xtrackers MSCI USA Energy UCITS ETF der DWS Platz 1. Auf Platz 2 folgt der iShares S&P 500 Energy Sector UCITS ETF USD (Acc) von BlackRock. [Siehe Tabelle 1 im Anhang]
  • Unter den Top 10 der nach Faire Fonds-Methodik am stärksten belasteten Fonds findet sich sogar zwei „ESG-Fonds“ (Klassifizierung laut Lipper). Auf Platz 7 (88,97%) kommt der MSCI Europe Energy ESG Screened UCITS ETF der DWS, der angibt, „ESG-Screened“ zu sein und sich selbst als „Artikel 8“-Fonds nach der EU-Verordnung 2019/2088 (Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor) klassifiziert. Ein Viertel des Fondsvolumens ist in TotalEnergies investiert (Stichtag: 31.03.2022), einem Unternehmen, das nicht nur weiter auf Öl und Gas setzt, sondern auch für erhebliche Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Auf Platz 9 der Top 10  kommt der Swisscanto (LU) EF Responsible Global Energy AT, ebenfalls ein „Artikel 8-Fonds“.Eine genauere Analyse der „ESG-Fonds“ zeigt:
  • Von den 1.081 in der Faire Fonds-Datenbank enthaltenen „ESG-Fonds“ waren zum Stichtag nach den jeweils jüngsten Portfolio-Berichten lediglich 107 (rund ein Zehntel) in kein gescreentes kontroverses Unternehmen investiert – während 481 mehr als 10% Belastung aufwiesen. Die 10 am stärksten belasteten „ESG-Fonds“ sind zu 41% bis 89% in Titel kontroverser Unternehmen investiert und mehrheitlich ETFs. [Siehe Tabelle 2 im Anhang]
  • 853 der in der Faire Fonds-Datenbank enthaltenen „ESG-Fonds“ klassifizieren sich (laut Lipper) nach der EU-Verordnung 2019/2088 als „Artikel 8“-Fonds. Darüber hinaus werden laut Lipper 195 „ESG-Fonds“ von ihren Fondsanbietern als „Artikel 9“-Fonds nach der EU-Verordnung 2019/2088 klassifiziert [5]. Eine Stichprobenuntersuchung durch Faire Fonds von zehn als Artikel 9 klassifizierten ETFs und Indexfonds zeigt jedoch, dass die Belastungen durch kontroverse Unternehmen zum Zeitpunkt dieses Updates der Faire Fonds-Datenbank zwischen 26% und 39% des Gesamtvolumens lagen. [Siehe Tabelle 3 im Anhang]
  • Von den 251 FNG-Siegelfonds, die in Faire Fonds enthalten sind, weist der Metzler Global Growth Sustainability die höchste Belastung auf: zum 31.12.2021 machten die belasteten Titel des Fonds 31,73% des Fondsvolumens nach Faire Fonds-Methodik aus. Die höchsten Beteiligungen lagen bei Amazon, Apple und Microsoft. [6]
  • Von den 33 neu in Faire Fonds aufgenommen Fonds, die sich insbesondere an Stiftungen richten, sind 24 als „ESG-Fonds“ gelabelt. Allerdings sind 11 (von den 33 Fonds) zwischen 11% und 26% mit Kontroversen nach der Faire Fonds-Methodik belastet. [Siehe Tabelle 4 im Anhang]

„Gerade ETFs mit ESG-Label erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit bei Verbraucher*innen, zeigen aber zugleich mit die höchste Belastung mit Kontroversen in unseren Analysen,“ erläutert Thomas Küchenmeister von der NGO Facing Finance, die das Verbraucherportal Faire Fonds 2019 gestartet hatte. „Wenn z.B. der Fokus auf Klima oder Kreislaufwirtschaft gelegt wird, werden andere Themen wie Menschenrechte oft ausgeblendet.“ Er fügt hinzu: „Wir stellen speziell mit Blick auf Menschenrechte fest, dass viele, auch als nachhaltig klassifizierte Fonds und speziell ETFs in Rüstungsunternehmen investieren, was aber Verbraucher*innen laut Umfragen weiterhin mehrheitlich ablehnen. Der Ukraine-Krieg könnte jetzt eine weitere undifferenzierte ESG-Integration von Rüstungsunternehmen durch die Fondsbranche vorantreiben. Dies wäre absurd: Rüstung hat nie, in keinem Szenario, einen Platz in nachhaltigen Investments.“

Die Faire Fonds-Datenbank weist Rüstungsinvestment von 470 der 1.081 (43%) als nachhaltig klassifizierten „ESG-Fonds“ aus. Zudem gilt dies für 475 von insgesamt 702 (68%) analysierten ETFs (mit und ohne ESG-Klassifizierung).  Zuletzt hatte der Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg veröffentlicht, dass schon jetzt in Artikel 8-Fonds etwa 3,5 Milliarden US-Dollar an Investitionen in Rüstungsunternehmen geparkt sind. [7]

„Die Integration der beiden urgewald-Datenbanken zu fossilen Unternehmen als Quellen bei Faire Fonds macht sich auch in den Ergebnissen unserer Analyse bemerkbar: insbesondere Energie- und (andere) Rohstofffonds weisen Anbieter- und Typ-übergreifend natürlich jetzt eine entsprechend hohe Belastung auf“, erklärt Julia Dubslaff von urgewald. „Einerseits ist erfreulich, dass die dreckigsten Kohle-, Öl- und Gasunternehmen aus China hauptsächlich in entsprechenden Emerging Markets oder Länderfonds auftauchen. Auffällig ist aber die Beliebtheit der großen europäischen Energiekonzerne wie TotalEnergies und anderen bei den Fonds auf dem deutschen Markt.“ Sie fügt hinzu: „Während die World Meteorological Organization (WMO) jüngst gewarnt hat [8], dass schon in den kommenden fünf Jahren eine globale Temperatursteigerung von 1,5 Grad möglich ist, setzen Investoren bzw. die Fondsanbieter immer noch auf fossile Energieträger, die größten Treiber der Klimakrise. Selbst die Internationale Energieagentur hat klar gesagt, dass keine neuen fossilen Quellen mehr ab sofort erschlossen werden dürfen. Aber nach urgewald-Recherchen expandieren immer noch über 95% der weltweiten Upstream-Öl- & -Gasunternehmen und 49% der Kohleunternehmen [9]. Spätestens hier, bei dem Thema Expansion, müssen Fondsanbieter glasklare Ausschlusskriterien formulieren und sich nicht hinter Engagement und ‚Transformationsbegleitung“ verstecken. Wir fordern die Fondsbranche auch eindringlich dazu auf, Erdgas trotz Aufnahme in die EU-Taxonomie kategorisch zu meiden.“ [10]

Anmerkungen

[1] Erst seit diesem Jahr hat Refinitiv Lipper die neuen “Responsible Investment Attributes” auf Fondslevel eingeführt. Kategorien (mit jeweils mehreren Sub-Attributen) sind ESG, SRI, Positive/Negative Screening, Impact Investing und Religion: Lipper Responsible Investing Attributes: Negative Screening Funds Draw Largest Flows Over Trailing 12 Months | Lipper Alpha Insight | Refintiv (refinitiv.com) (Hinweis: genaue Methodik muss bei Refinitiv angefragt werden).
Zudem: 251 der durch Faire Fonds untersuchten Fonds tragen das Gütesiegel vom Forum Nachhaltige Geldanlage (FNG).
[2] Als Kategorien für Kontroversen führt Faire Fonds: Klimawandel, Umweltzerstörung, Arbeitsrechte, Menschenrechte, Rüstung, Korruption, Finanzdelikte und Anderes. Die Methodik findet sich hier: https://www.faire-fonds.info/methodik/
[3] In der Vergangenheit bzw. seit dem  letzten Update im Dezember 2021 wurden bereits die folgenden 7 Quellen genutzt:  Ausschlussliste des Norwegischen Pensionsfonds, die Zielunternehmen der Climate Action 100+ Investoren Initiative, die SIPRI TOP 100 Waffenproduzenten, der Top 25-Unternehmen des Plastic Waste Makers Index, die Corporate Human Rights Benchmark, die Global Coal Exit List (GCEL) und die Arms-Exit List. Siehe Methodik von Faire Fonds: https://www.faire-fonds.info/methodik/
[4] GOGEL umfasst derzeit 887 Unternehmen und bildet damit knapp 95% der weltweiten Öl- und Gasproduktion ab. Die Datenbank macht insbesondere die Öl- und Gasfirmen mit den größten Expansionsplänen sowie mit den umstrittensten Formen der Öl- und Gasförderung identifizierbar. Siehe https://gogel.org/gogel-explained
[5] Die Differenz zu der Gesamtsumme von ESG-Fonds (1.081) ergibt sich durch FNG-Fonds, die nicht durch Lipper (mit ESG) geführt werden und/oder Fonds die von Lipper als ESG markiert werden (siehe Hinweis Methodik in Fußnote 1), aber nicht Artikel 8 oder 9 klassifiziert sind.
[6] Amazon, Apple und Microsoft werden auf Basis der Einschätzung der Corporate Human Rights Benchmark wegen Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette markiert.
[7] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-04-10/esg-managers-skewer-ridiculous-idea-of-embracing-arms-stocks
[8] Laut der WMO besteht eine 50:50 Wahrscheinlichkeit, dass die globale Durchschnittstemperatur bis 2026 in mindestens einem Jahr die Marke von 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau erreicht. Presseerklärung vom 09. Mai 2022: https://public.wmo.int/en/media/press-release/wmo-update-5050-chance-of-global-temperature-temporarily-reaching-15%C2%B0c-threshold
[9] www.gogel.org und www.coalexit.org
[10] https://drive.google.com/file/d/1KeBkWi_w4RXf1MonB8g0gmGctaSCIAOV/view

Disclaimer

Grundsätzlich werden im Rahmen des Verbraucher-Portals faire-fonds.info keine Empfehlungen für oder gegen bestimmte Investmentfonds abgegeben. Die Nutzer*innen der Plattform sind aufgerufen, bitte sorgfältig die ökonomischen Vor- und Nachteile abzuwägen, bevor sie ihr Geld in Investmentfonds anlegen, insbesondere in Bezug auf Risiken und die Kosten. Nutzer*innen sollten sich grundsätzlich von Anbietern über die nachhaltige Ausrichtung der Investmentfonds informieren lassen und beachten, dass sich die Zusammensetzung der einzelnen Investmentfonds von Zeit zu Zeit ändern kann.

Kontakt

Stefanie Jellestad | Pressesprecherin, urgewald
+49 (0)30 8632 922-60, stefanie.jellestad@urgewald.org

Thomas Küchenmeister | Geschäftsführender Vorstand, Facing Finance
+49 (0)175 4964082, kuechenmeister@facing-finance.org

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